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Impuls zum 1. Dezember 2024

Zum 1. Advent

Von Klaus Hagedorn (Oldenburg)

 „Er wird Recht und Gerechtigkeit wirken im Land“ Jeremia 33,15

Vorneweg
Die erste Kerze am Adventskranz 2024 - sie wird ein sehr kleines Licht sein, angezündet in einer Zeit, wo von äußerem und innerem Frieden wenig zu spüren ist. Viele Nachrichten lassen mich oft den Atem anhalten. Sie berichten von „Höllen auf Erden“ in Israel und Palästina und Libanon, in der Ukraine und in Russland und andernorts, die ich oft kaum ertrage. Es sind Bilder und Nachrichten von aufgezwungenen Toden, von Gewalt und Terror, von Schicksalsschlägen, Kriegen, Katastrophen und dann auch von gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen bei uns im sog. Westen. Unbehagen und Beklemmung greifen um sich. Eine Krise nach der anderen mutet sich uns zu. Ein Weiterleben in sog. Normalität, als ob es keine Brüche gäbe, gelingt immer weniger. Und dazu kommt, dass sich diese Brüche bis in den privaten Lebensbereich hinein fortsetzen und sich mit Entzweiung verbinden. Innere Unsicherheit und Zukunftsangst nehmen zu, so sagen uns die Demoskopen. Und Ratlosigkeit und Hoffnungsverlust lassen noch leiser und stummer werden als ohnehin schon. Mir begegnet nicht selten die Ansicht, dass der letzte Sinn des Lebens von uns Menschen wohl darin liege, „Hoffnungslosigkeit zu ertragen“. 

Die Schatten sind groß, die Lichter sind klein. Aber diese kleinen Lichter des Adventskranzes leuchten gegen eine resignative Grundstimmung. Sie stehen für eine Hoffnungshaltung, wie sie der alte Jeremia-Text vom 1. Advent 2024 beschreibt: „Er wird Recht und Gerechtigkeit wirken im Land.“ Hoffnung suche ich mir zu bewahren und tastend-fragend Rechenschaft zu geben. Ich sehe in ihr anderes als naiven Optimismus. Und ich sage mir: Es gibt keine schlechten und guten Zeiten, es gibt nur schwierige und einfache Zeiten. Schwierigen Zeiten kann man nicht ausweichen; man hat sich mit ihrer Realität auseinanderzusetzen. Sie verlangen einem viel ab und fordern zum Handeln auf. 

Mit Psalm 23 im Gespräch 
„Der HERR ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.“
Doch manchmal fehlt mir das Vertrauen, dass alles schon gut werden wird, die Gelassenheit, die ich mal hatte.

„Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.“
Wie sehr sehne ich mich nach Ruhe. Wie viel mehr sehnen sich die Menschen, die in Kriegen leben und leiden, nach Ruhe.

„Meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, getreu seinem Namen.“
Meine Lebenskraft kommt mir manchmal schutzbedürftig vor wie die Flamme einer Kerze im Wind. Und oft bin ich ratlos, ob ich die Pfade der Gerechtigkeit überhaupt finden kann.

„Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“
Woher nehme ich nur dieses Vertrauen - in den finsteren Tälern meiner Verzweiflung und Ratlosigkeit?

„Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, übervoll gießt du mir meinen Becher.“
Danach sehne ich mich, und ich ersehne es für alle, die von Feinden belagert sind: An deinem Tisch sollen alle sitzen, die von Feinden bedroht und belagert werden und deren Menschenwürde geschunden wird.

„Ja, Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und heimkehren werde ich ins Haus des HERRN für lange Zeiten.“
Ja, heimkehren sollen alle, die verfolgt sind. Güte und Huld sollen sie beschützen, dass sie sicher Zuflucht finden in deinem Haus, lebendiger, liebender Gott.  Amen

Ein Bittgebet
Bei allem, was geschehen ist und geschieht 
an Schreckenserregendem und Menschenunwürdigem -
unser Herz und unser Verstand seien geöffnet für das, 
was auch geschieht:
für Recht, das die Menschenwürde ins Zentrum setzt, 
für Gerechtigkeit, die als Leitstern aufscheint und prägt,
für Menschen, die sich engagieren mit langem Atem, 
für Initiativen weltweit, die kleinste Chancen nutzen, Frieden zu stiften. 

Du hast uns in dieses Leben gestellt.
Wir wollen als Menschen zusammenstehen – ohne Gewalt und Krieg, 
über alle Grenzen hinweg in Geschwisterschaft - ohne Feindbild im Herzen. 
Wir suchen nach Wegen, einander Hilfe und Stütze zu sein. 
Wir wollen nicht leben ohne Halt - und fern von dir.
Wir brauchen Ermutigung, 
aufzustehen für ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit 
und der Stimme zu vertrauen, die in uns spricht von Frieden und Versöhnung 
und vom Wort, dass nichts unmöglich ist bei G-o-t-t. 

O G-o-t-t des Lebens, lass dich erfahren als mit uns auf dem Weg. 
Wir brauchen gestärktes Vertrauen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, 
sondern die Liebe.

„Bei dir ist die Quelle des Lebens.
in deinem Licht sehen wir das Licht.“ (Psalm 36,10)

Lesung vom 1. Advent 2024: Jeremia 33,14-16
Siehe, Tage kommen – Spruch des Herrn -, da erfülle ich das Heilswort, das ich über das Haus Israel und über das Haus Juda gesprochen habe. 
In jenen Tagen und zu jener Zeit werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen. Er wird Recht und Gerechtigkeit wirken im Land. In jenen Tagen wird Juda gerettet werden, Jerusalem kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: Der Herr ist unsere Gerechtigkeit. 

Das „Dennoch“ der Hoffnung
Der Prophet Jeremia (660 bis 580 vor Christus) erlebte eine Zeit von Multikrisen, eine Zeit der politischen, sozialen und religiösen Umbrüche und Unruhen. Persönliche Anfeindungen und Unsicherheiten setzten ihm zu. Aussichtslosigkeit kannte er. Und trotzdem: Er erinnert seine Zeitgenoss:innen an die Zusage, dass ein Retter kommen werde, der die Verbannten aus dem babylonischen Exil wieder zurückführen werde. Ein Spross aus dem Hause Davids „wird Recht und Gerechtigkeit wirken im Land“. Auch wenn davon noch nichts zu sehen ist, wäre darauf zu setzen, zu hoffen und zu vertrauen, so Jeremia, dass Gott die Menschen liebend im Blick hat. Da kommt eine fundamentale Grundhaltung der Erwartung zum Ausdruck. 

Eine solche Hoffnung kann eine Lebensressource sein. Selbst wenn es keinen Anlass zum Hoffen gibt, gibt es doch einen Grund dazu. Die Kraft, die aus Hoffnung kommen kann, kann dem Unheil den totalen Zugriff auf uns Menschen verweigern und lässt die Welt nicht zum Teufel gehen. 

Sie ist ein „Dennoch“ und verschließt nicht die Augen vor den Bedrohungslagen. Sie lässt handlungskräftig bleiben. Nelson Mandela z.B. fand trotz Verurteilung zu lebenslangem Gefängnis in der Hoffnung Kraft, nicht zu resignieren. An seine Frau schrieb er 1969: „Hoffnung ist eine machtvolle Waffe. Keine Macht der Erde kann Dir diese Waffe rauben.“  Für Vaclav Havel, als Dissident immer wieder inhaftiert und später erster Staatspräsident der Tschechischen Republik, war Hoffnung eine Orientierung des Geistes und des Herzens, die aus einer transzendenten Perspektive zum Einsatz für die Welt motiviert, auch wo es hoffnungslos zu sein scheint: „Je ungünstiger die Situation ist, in der wir unsere Hoffnung bewähren, desto tiefer ist diese Hoffnung. Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht. Sondern Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht. Ich denke, dass wir die tiefste Hoffnung, die Einzige, die uns trotz allem an der Oberfläche zu halten, zu guten Taten anzuhalten imstande ist, von ‘anderswoher‘ nehmen.“ 

Ich spüre ebenfalls, dass ich eine Zusage brauche, die mich tröstet und ermutigt, um zu glauben, dass mein Engagement nicht vergebens und sinnlos ist. Den Jeremia-Zuspruch „Er wird Recht und Gerechtigkeit wirken im Land“ umschreibe ich für mich mit: „Der Tod hat nicht das letzte Wort! Es ist die Liebe!“ Auf diese Zusage setze ich. Das ist ein Vertrauen auf Unsichtbares. Wie auch beim allerkleinsten Versprechen zwischen Menschen, das ja auch ein Vertrauensbeweis auf Treu und Glauben ist. Erst späterhin zeigt sich, ob es sich bewährt. Diese Zusage bewahrt mich bislang vor dem Virus der Resignation. Sie lässt mich sagen: Hoffen heißt, den nächsten Schritt zu tun. 

Die Menschheitsgeschichte ist voll von Berichten über Menschen, denen unglaubliches Unrecht geschehen ist. Diese skandalöse Tatsache verbietet mir zu sagen: „Ja, aber so ist die Welt eben, wir können leider nichts daran ändern.“ Der Blick auf alle ungetröstet und ungesühnt verstorbenen Opfer von Gewalt legt für mich den stärksten Beweggrund frei für den Hoffnungsgedanken: Der biblische Gott gibt nichts und niemanden endgültig verloren, er will unbedingt das Heil der Welt und der Menschen. 

Jeder religiöse Satz trägt auch eine menschheitliche Wahrheit mit sich. Der christliche Glaube an den Gott der Lebenden und der Toten steht für mich auch für die Unerträglichkeit des Todes. Nicht des Todes am Ende eines gelebten und erfüllten Lebens. Denn wir sind endliche Wesen. Endlich zu sein heißt: Irgendwann muss ich sterben. 

Der Glaube, dass Gott berührt ist vom Schicksal jedes Menschen, bedeutet für mich: Den falschen Tod kann, darf und will ich nicht hinnehmen. Damit meine ich den Tod „vor der Zeit“. Dieser Tod trifft Menschen mitten in ihrem Leben – aufgezwungen. Der falsche Tod geschieht im Krieg durch Gewalt, er geschieht durch Hunger und Verarmung, durch Folter und Mord, durch ein Leben ohne Zukunftsperspektive uvam. 

Ich kann nicht an diesen biblischen Gott glauben und mich zugleich mit diesen Toden abfinden. Ich kann nicht glauben und zugleich die Geflüchteten aus dem Land jagen oder sie im Meer ertrinken lassen. Ich kann nicht glauben und das eigene Land und die Welt zugleich zu Tode rüsten. Ich kann nicht glauben und zugleich das Klima so zerstören, dass das Leben meiner eigenen Kinder und Enkel gefährdet ist. 

Der Zuspruch und Hoffnungssatz: „Der Tod hat nichts das letzte Wort!“ hilft mir, die Dinge nicht nur zu ertragen, sondern zu tragen, auch die eigentlich unerträglichen. Und wenn man nicht mehr hoffen kann? Was ist, wenn meiner Hoffnung der Atem ausgeht? Hoffnung ist ja etwas Tätiges, aber ich kann sie mir nicht antrainieren. Ich wäre dann darauf angewiesen, dass Andere für mich hoffen und ich mich neu anstecken lassen kann von der Hoffnung anderer. 

Ein Gebet um Geistkraft
G-o-t-t unseres Lebens: 
wir sehnen uns nach Frieden
und wir bitten dich um die Kraft deines Heiligen Geistes. 

Wir brauchen diese heilige Geistkraft so sehr:
als Hoffnung, nicht zu resignieren
als Fantasie, neue und vielleicht auch ungewohnte Wege aufeinander zuzugehen,
als Ermutigung, Kopf, Herz und Hände zusammenzubringen.

Wir möchten mitfühlend sein mit den Menschen, die leiden.
Mitgefühl gilt jedem Menschen,
unabhängig von seiner Nationalität und Religion.

Es braucht deinen größeren Geist der Verbundenheit.
Nur gemeinsam können wir die Zerstörung unseres Planeten
und die Selbstzerstörung der menschlichen Gemeinschaft aufhalten

Nur gemeinsam können wir zum Frieden finden.
öffne unsere Herzen und gib uns neuen Mut.

(Nach einem interreligiösen Gebetsvorschlag der „Religions for Peace Deutschland“ zum 7.10.2024)